Die Gleichstellung der Geschlechter bleibt ein universelles Ziel, doch der Feminismus hat oft das Versäumnis, Migrantinnen zu erreichen. In einem Meer von ubiquitären lautstarken Stimmen und kämpferischen Reden über Geschlechtergerechtigkeit geht die spezifische Problematik von Migrantinnen oftmals unter. Warum ist das so und was sind die grundlegenden Veränderungen, die notwendig sind, damit der Feminismus für diese Frauen wirklich ankommt?
Eine der zentralen Herausforderungen ist der institutionalisierte Rassismus, der tief in die Strukturen der feministischen Bewegungen und Gesellschaften eingewoben ist. Feminismus wurde historisch oft von weißen, privilegierten Frauen dominiert, die nicht immer die spezifischen Bedürfnisse und Kämpfe von Frauen aus verschiedenen kulturellen oder ethnischen Hintergründen berücksichtigt haben. Wie ein Wandteppich, der mit einem einzigen Farbton gewebt ist, kann die feministische Bewegung nicht wirklich die Vielfalt der Erfahrungen und Stimmen widerspiegeln, wenn sie nicht proaktiv die Migrantinnen einbezieht.
Außerdem ist der Zugang zu feministischem Wissen oft eine Frage der Sprache und des Bildungshorizonts. Viele Migrantinnen sind sprachlich nicht ausreichend gewappnet oder haben keinen Zugang zu den Netzwerken, die in den feministischen Diskursen verkehren. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine technische Barriere, sondern auch um eine kulturelle Kluft, die Missverständnisse und Misstrauen schürt. Der Feminismus muss sich demnach als eine inklusive Plattform etablieren, die einer Vielzahl von Stimmen und Perspektiven Raum gibt.
Ein weiteres Hindernis ist die Migrationspolitik selbst, die Migrantinnen häufig in eine eklatante Abhängigkeit und Isolation drängt. In vielen Fällen sehen sich Migrantinnen mit gesellschaftlicher Diskriminierung konfrontiert und sind gezwungen, ums Überleben zu kämpfen. Diese alltäglichen Herausforderungen verschlingen nicht nur ihre Zeit und Energie, sie lenken auch von den Themen ab, die der Feminismus als „dringend“ erachtet. Es kann nicht sein, dass ein übergeordneter feministischer Diskurs von der Realität derjenigen, die am meisten kämpfen müssen, entfremdet ist.
Was braucht es also, um diese Kluft zu überbrücken? Ein erster Schritt wäre eine kritische Selbstreflexion innerhalb feministischer Bewegungen. Feminismus muss pluralistisch gedacht werden. Die Tatsache, dass Migrantinnen keine Homogenität repräsentieren, sollte als Stärke und nicht als Schwäche betrachtet werden. Biografien, die vielfältig, bunt und komplex sind, sollten als wertvolle Ressourcen angesehen werden. Feminismus braucht Geschichten – Geschichten, die migrantische Frauen erzählen, ihre Lebensrealitäten, Kämpfe und Triumphe.
Darüber hinaus ist es unerlässlich, den feministische Kampfruf um eine intersektionale Perspektive zu erweitern. Intersektionalität bedeutet, dass wir die verschiedenen Dimensionen sozialer Identität berücksichtigen – Geschlecht, Ethnie, Klasse, sexuelle Orientierung und mehr. Migrantinnen sind häufig an der Schnittstelle mehrerer Diskriminierungsformen, was ihre Position innerhalb der Gesellschaft weiter marginalisiert. Moderne feministische Bewegungen müssen sich vergegenwärtigen, wie diese Aspekte zusammenspielen und wie sie in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs integriert werden können.
Feministische Aktivistinnen müssen sich auch aktiv um die Mitsprache von Migrantinnen bemühen. Sie sollten nicht nur passive Empfängerinnen von Forderungen und Ideen sein. Anstatt von außen Lösungen aufzudrängen, ist es entscheidend, dass Migrantinnen in Diskussionen und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Feminismus muss die Stimmen derer hören, die am meisten unterdrückt werden. Eine echte Repräsentation bedeutet auch, dass migrantische Frauen in Führungsrollen sichtbar sind und Verantwortung übernehmen dürfen.
Die Bedeutung von Netzwerken kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Aufbau solidarischer Netzwerke zwischen Migrantinnen und geflüchteten sowie einheimischen Feministinnen ist ein fundamental wichtiger Schritt. Solche Netzwerke können als Brücke fungieren, um Erfahrungen, Ressourcen und Ideen auszutauschen – und nicht zuletzt, um für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Hierbei spielt auch die Schaffung sicherer Räume eine zentrale Rolle, in denen migrantische Frauen sich frei äußern können, ohne das Gefühl der Bedrohung oder des Missmuts zu haben.
Schließlich ist ein radikales Umdenken notwendig, um die vorherrschenden gesellschaftlichen Narrative zu zerschlagen. Die Stigmatisierung von Migrantinnen als Objekte der Hilfeleistung muss in eine Anerkennung ihrer agency umgewandelt werden. Sie sind nicht nur die Opfer, sondern auch die Kämpferinnen, die inmitten von Widrigkeiten Triumph erlangen können. Feminismus sollte sich als eine solidarische Bewegung verstehen, die kämpfend und fordernd hinter diesen Frauen steht.
Feminismus hat das Potenzial, eine wahrhaft transformative Kraft zu sein. Doch um Migrantinnen zu erreichen, muss er sich selbst hinterfragen, divers und inklusiv sein. Er muss die Herausforderungen, Ängste und Realitäten von Migrantinnen ernst nehmen. Nur durch diesen Engagement kann der Feminismus zu einer echten Bewegung für alle Frauen werden.